Interview ZDH-Präsident: “Fachkräfte werden auch in Zukunft gefragt sein”
Liebes Repanet Mitglied,
bis vor einigen Wochen war das Thema Fachkräftemangel in unserer Branche das bestimmende Thema. Gut ausgebildete Lackierer zu finden, die effizient und zuverlässig arbeiten – eine immer größer werdende Herausforderung für die Unternehmen. Wird sich diese Situation nun ändern? Was bedeuten die aktuellen politischen Maßnahmen für die Auszubildenden? Wir haben dazu mit Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands Deutsches Handwerk, gesprochen. Seine Antworten exklusiv für Sie heute in unserem Newsletter.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Repanet Vorstand und Service-Center
„Fachkräfte werden auch in Zukunft gefragt sein“
Auch wenn derzeit viele Auftragsbücher leerer als sonst sind: „Bei einer wirtschaftlichen Normalisierung in den nächsten Wochen und Monaten ist davon auszugehen, dass auch die Auslastung der Werkstätten wieder zunehmen wird,“ so Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands Deutsches Handwerk. Wie sich das auf den Bedarf an Fachkräften und Auszubildenden auswirken könnte und welche Strategie er K+L-Betrieben empfiehlt, lesen Sie unten mehr.
Fachkräfte werden auch in Zukunft gefragt sein“
Interview mit ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer
Einzelhandel, Gastronomie und viele Dienstleister sind von der Corona-Krise betroffen. Wie sehen Sie die Situation des Handwerks und insbesondere der Karosserie- und Lackierbranche?
Vielen Handwerksbetrieben steht das Wasser bis zum Hals. Unsere regelmäßigen Befragungen zu den Corona-Auswirkungen zeigen allerdings, dass die verschiedenen Handwerksbranchen unterschiedlich stark betroffen sind. Während etwa die Kfz-, Lebensmittel-, Gesundheits- und privaten Dienstleistungsgewerke stark angeschlagen sind, sieht es im Bau- und Ausbaubereich noch relativ gut aus. Im Gesamthandwerk melden aber bereits drei von vier Betrieben starke Umsatzverluste von mehr als 50 Prozent. In den Kfz-Gewerken sind sogar beinahe 90 Prozent der Betriebe von Umsatzrückgängen betroffen. Bei ihnen werden auch mehr Aufträge als im Handwerk insgesamt storniert, bereits 40 Prozent des Auftragsvolumens sind ihnen weggebrochen. Zahlreiche Handwerksbetriebe berichten von Personalausfällen durch Quarantänemaßnahmen oder wegen fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Es gibt Probleme bei der Verfügbarkeit von Ersatzteilen oder Komponenten. Um die schwierige wirtschaftliche Situation zu bewältigen und die Liquidität zu erhalten, haben bereits mehr als die Hälfte der Kfz-Betriebe für Teile ihrer Belegschaft Kurzarbeitergeld angemeldet und etwa ein Viertel bei seinem Finanzamt Steuerstundungen beantragt. Die Lage ist sehr ernst.
Der Fachkräftemangel ist im Segment Karosserie und Lack DAS Thema. Wird dieses Problem durch Corona-bedingt sinkende Auftragszahlen kurz- und mittelfristig gelöst werden?
Der Lockdown hat im Handwerk und auch im Karosseriebau zu einem starken Abbau der Auftragsbestände geführt. Wichtig sind in dieser Lage Perspektiven für die Betriebe, wie es weitergeht. Die Betriebe brauchen klare und verständliche Leitlinien dafür, unter welchen Bedingungen sie wieder arbeiten können, keinesfalls aber ein unübersichtliches länderspezifisches Regelungs- und Verfahrenswirrwarr. Bei einer wirtschaftlichen Normalisierung in den nächsten Wochen und Monaten ist davon auszugehen, dass auch die Auslastung der Werkstätten wieder zunehmen wird. Fachkräfte werden ganz sicher auch in Zukunft gefragt sein. Da der Altersdurchschnitt unter den Mitarbeitern weiter steigt und insgesamt zu wenig Nachwuchs ausgebildet werden kann, muss das Augenmerk parallel zur Krisenbewältigung weiter darauf gelenkt bleiben, dass in den Betrieben zur Fachkräftesicherung weiter ausgebildet wird.
Führt die Situation zu einem höheren Angebot von Fachkräften auf dem Markt und damit zu einem niedrigeren Lohnniveau?
Welche Auswirkungen die gegenwärtige Krise auf den Arbeitsmarkt haben wird, lässt sich noch nicht absehen. Möglicherweise werden in den nächsten Monaten mehr Karosseriebauer auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sein als in den Vorjahren. Das sollte aber ein vorübergehender Effekt sein, der sich bei den Löhnen nicht bemerkbar macht. Die Erfahrungen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise haben gezeigt, dass es nicht zu einem dauerhaften Anstieg der Arbeitslosigkeit und damit zu einem höheren Angebot von Fachkräften verbunden mit niedrigeren Löhnen kommen muss. Und gerade die intensive Nutzung von Kurzarbeit zeigt, dass die Unternehmen eben nicht mit vorschnellen Entlassungen auf die derzeitigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten reagieren. Stattdessen setzen sie alles daran, ihre Fachkräfte durch die Krise hindurch zu beschäftigen. Denn die Betriebe wissen eines sehr genau: Sie brauchen ihre eingearbeiteten, leistungsstarken und qualifizierten Fachkräfte, um nach der Krise wieder durchstarten zu können.
Welche Strategie empfehlen Sie den Handwerksbetrieben vor diesem Hintergrund? Sollten sich diese von Mitarbeitern möglichst schnellst trennen oder versuchen, diese zu halten?
Vor der Krise fehlten Fachkräfte an allen Enden und in allen Gewerken – geschätzt rund eine Viertelmillion. In der Zeit haben sehr viele Betriebe die Erfahrung gemacht, wie schwierig es bereits unter normalen Umständen ist, neue qualifizierte Mitarbeiter und Auszubildende zu finden. Daher sollten Betriebe - und die allermeisten Betriebe machen das auch - ihr Fachpersonal über die Krise hinweg halten. Betriebe, die jetzt Kündigungen aussprechen, riskieren, dass sie sich erst auf die Suche nach neuen Mitarbeitern begeben müssen, wenn die Auftragslage wieder stabiler wird und dann möglicherweise einen guten Neustart verpassen.
Wie können es Unternehmen schaffen, ihre Mitarbeiter zu motivieren und gleichzeitig das Kostenniveau zu senken? Ist in diesem Zusammenhang die Weiterbildung z.B. über E-Learning-Angebote bei gleichzeitiger Kurzarbeit ein geeignetes Mittel?
Mitarbeitermotivation und Kostenoptimierung hängen für mich nicht unmittelbar zusammen. Es geht im Betrieb immer darum, dass die Belegschaft motiviert ihren Job macht, weil sie dann in der Regel auch zu guten Ergebnissen kommt. Und was die Kostenseite im Betrieb angeht: Wegen der harten Wettbewerbssituation müssen die Betriebe ohnehin zu scharf kalkulierten Preisen anbieten. Beim ZDH setzen wir uns schon seit langem dafür ein, dass die Wertigkeit handwerklicher Leistungen eine größere Anerkennung erfährt. Denn das ist die Voraussetzung dafür, dass Kunden auch bereit sind, für qualitativ hochwertige handwerkliche Leistungen ein angemessenes Preisniveau zu akzeptieren. Unabhängig davon aber nutzen viele Handwerksbetriebe den durch die Krise ausgelösten Digitalisierungsschub und die durch Kurzarbeit frei gewordene Arbeitszeit, um noch stärker digitale Weiterbildungsinstrumente anzubieten – auch um ihre qualifizierten Fachkräfte zu halten und zu motivieren. Mitarbeiterbindung ist in der aktuellen Situation ein ganz entscheidender Ansatz, um nicht im Anschluss an die Corona-Krise vom Fachkräftemangel betroffen zu sein. Weiterbildung etwa auch über E-Learning Angebote und in Verbindung mit Kurzarbeit sind dabei ein vielversprechender Ansatz, der sich auch in anderen wirtschaftlich angespannten Lagen bereits bewährt hat.
Der ZDH hat die Ausbildung junger Handwerkerinnen und Handwerker immer wieder als zentrales Element im Kampf gegen den Fachkräftemangel angeführt. Wird es künftig mehr oder weniger Betriebe geben, die ausbilden wollen?
Das ist weniger eine Frage von wollen als vielmehr von können: Derzeit geben die Handwerksbetriebe ihr Bestes, um sich in einer betrieblich schwierigen Situation für ihre Azubis und deren Qualifizierung einzusetzen. Und das ist nicht einfach angesichts der großen Herausforderungen, die sie meistern müssen, um den normalen Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Dieses Engagement müssen wir unbedingt flankieren und absichern. Denn ein Betrieb, der schließen muss, weil ihm die Mittel ausgegangen sind, kann auch nicht mehr ausbilden. Für das Handwerk, aber auch für die deutsche Wirtschaft wäre es fatal, wenn uns jetzt die Ausbildungsbetriebe wegbrechen. Das können wir uns nicht leisten. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Ausbildungsleistung der Betriebe zu erhalten und auch eine leistungsfähige Bildungsinfrastruktur zu sichern. Jeder Azubi, der jetzt und zukünftig nicht mehr ausgebildet werden kann, wird den Fachkräftemangel verschärfen.
Die Corona-Krise ist auch für viele Azubis und deren Ausbildungsbetriebe spürbar. Berufsschulen sind geschlossen, Prüfungen vorerst verschoben. Vor diesem Hintergrund fordert der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) mehr staatliche Unterstützung für Ausbildungsbetriebe. Unterstützen Sie diese Forderung?
Wir müssen alles tun, damit Betriebe, die von der Krise massiv betroffen sind, ihre Ausbildungsleistung nicht einschränken oder sogar ganz einstellen müssen. Ausbildung ist der Schlüssel zur Fachkräftesicherung. Daher müssen Betriebe darin unterstützt werden, damit sie an bestehenden Ausbildungsverhältnisse festhalten und so die Nachwuchsgewinnung nicht zum Erliegen kommt. Der ZDH macht sich dafür stark, Ausbildungsbetrieben durch Kostenentlastungen, Fördermaßnahmen oder einen Ausbildungszuschuss unter die Arme zu greifen. Konkret schlagen wir für ausbildende Betriebe einen einmaligen Zuschuss vor, der sich an 75 Prozent einer durchschnittlichen tariflichen oder Mindestausbildungsvergütung über einen Zeitraum von drei Monaten orientieren sollte. Zur künftigen Fachkräftesicherung ist es zudem entscheidend, dass unsere bewährte Bildungsstätten-Infrastruktur im Handwerk mit über 600 beruflichen Bildungszentren die Krise unbeschadet übersteht. Die Hilfsmaßnahmen im Zuge der Corona-Krise müssen dringend auf diese Einrichtungen der beruflichen Aus-, Fort- und Weiterbildung erweitert werden. Denn sie sind für einen nahtlosen Übergang in ein geregeltes Ausbildungswesen nach der Krise unverzichtbar.